Gedenkinitiative für die „Euthanasie“-Opfer

Gedenkstätte Schloss Hartheim, den 28. Juni 2019

(Download der Deklaration mit Erstunterzeichnungen)

Am 28. Juni 2019 hat die Gedenkinitiative für die »Euthanasie«-Opfer Vertreterinnen und Vertreter der Münchner Stadtgesellschaft zu einer Gedenkreise nach Schloss Hartheim in Oberösterreich eingeladen, wo mehr als 1000 Münchner Männer, Frauen und Kinder ermordet wurden.

Bei der Vorbereitung dieser Gedenkreise entstand das Bedürfnis, aus unserer Erfahrung heraus Wünsche und Forderungen an die Gesellschaft zu äußern, in welcher Form die vergessenen Opfer dieser Verbrechen gewürdigt und in das familiäre und gesellschaftliche Gedächtnis zurückgebracht werden können. So entstand die Hartheim-Deklaration, die wir in der Gedenkstätte Hartheim diskutiert und unterzeichnet haben.

Die Gedenkinitiative für die »Euthanasie«-Opfer fordert:

  • Das Gedenken an die Opfer der »Euthanasie«-Morde hat spät begonnen und ist nur sporadisch verwirklicht worden. Wir fordern einen bundesweiten Gedenktag an die »Euthanasie«-Opfer am 18. Januar. 1940 fand an diesem Datum die reichsweit erste Deportation der Gasmordaktion »T4« von der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar bei München in eine Tötungsanstalt statt.
  • Viele Heil- und Pflegeanstalten und Behinderteneinrichtungen waren an den Verbrechen beteiligt. Die meisten dieser Institutionen dienen auch heute der Behandlung und Begleitung von Menschen. In diesen Einrichtungen müssen die ehemaligen Tatorte würdig behandelt und dort passende Formen des Gedenkens gefunden werden.
  • Die Namen der Opfer der NS-»Euthanasie«-Morde müssen in einer angemessenen Form bundesweit sowie in lokalem Zusammenhang veröffentlicht werden. Die Gesellschaft ist verpflichtet, die dazu nötigen Mittel für Erhebungen und Publikationen zur Verfügung zu stellen. Opferbiographien sind ohne medizinische Diagnosen und entwürdigende Beschreibungen zu verfassen, sofern diese nicht sorgsam eingeordnet werden.
  • Die ärztlichen Direktionen der Einrichtungen, in denen zwischen 1933 und 1945 Verbrechen stattgefunden haben, sind für die Information der Öffentlichkeit und für die individuelle Betreuung der Angehörigen verantwortlich. Es reicht nicht, den Angehörigen eine archivierte Krankenakte zu übergeben. Sie brauchen vielmehr Hilfe zum Verständnis der historischen Zusammenhänge, der fachlichen Begriffe, ihrer zeitgeschichtlichen Einordnung sowie – und das ist uns ganz wichtig – eine emotionale Begleitung in der Konfrontation mit dem konkreten Schicksal und der damaligen familiären Situation.
    Diese Einrichtungen sollen auf ihrer Website einen Kontakt für Angehörige angeben.
  • Bis heute wissen viele Angehörige nichts von den vorhandenen Recherchemöglichkeiten. Es wäre wünschenswert, wenn Einrichtungen zur Geschichte des Nationalsozialismus sowie lokale Initiativen, die von Angehörigen, interessierten Gruppen oder von Verantwortlichen für die psychiatrische Versorgung unterstützt werden, durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit Angehörige auf Recherchemöglichkeiten hinweisen und sie ermutigen.
  • Humanpräparate, die sich noch in wissenschaftlichen Einrichtungen befinden, sind würdevoll zu bestatten – wo möglich unter Einbeziehung der Angehörigen.
  • Bis heute werden Täter der NS-»Euthanasie«-Verbrechen durch Ehrenmitgliedschaften, Bundesverdienstkreuze oder Straßennamen gewürdigt. Wir fordern eine öffentliche Ächtung der Täter durch Aberkennung dieser Ehrungen.

Die Gedenkinitiative für die »Euthanasie«-Opfer wünscht sich:

  • eine öffentliche Diskussion darüber, ob es ethisch und therapeutisch vertretbar ist, heute in den Räumen, in denen so viele Menschen in grausamer Weise ermordet wurden, weiterhin Patienten zu behandeln und betreuen. 

Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner

Dr. Hans-Jochen Vogel, Münchner Alt-Oberbürgermeister, Bundesminister a.D., Gründungsvorsitzender von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., München

Dr. h.c. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern

Ilse Macek, Sprecherin der Regionalen Arbeitsgruppe München von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., Haar

Prof. Dr.-Ing. Winfried Nerdinger, Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrum München, TUM Emeritus of Excellence, ab 4.7. Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, München

Dr. h.c. Barbara Distel, ehemalige Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, München

Prof. Dr. Gerrit Hohendorf, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der TU München

Dr. Susanne May, Programmdirektorin der Münchner Volkshochschule, München

Peter Schmidt, Zeitzeuge und Sohn des Psychiaters und Autors Gerhard Schmidt (»Selektion in der Heilanstalt 1939-1945«), Hamburg

Dr. Claudia Busch, Fachärztin für Neurologie, Angehörige, München

Dr. Barbara Baum, Angehörige, Gedenkinitiative für die »Euthanasie«-Opfer, München

Lisa Wanninger, Angehörige, Gedenkinitiative für die »Euthanasie«-Opfer, München

Barbara Kuhn, Bezirksrätin und Kulturreferentin für Oberbayern, CSU, München

Sr. Benigna Sirl, Generaloberin der Franziskanerinnen von Schönbrunn, Schönbrunn

Dr. Britta Leise, Leiterin des Historischen Archivs, Max-Planck-Institut für Psychiatrie

Prof. Dr. Dr. med. Martin Keck, ärztlicher Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, Vorstandsvorsitzender des Münchner Bündnisses gegen Depression, München

Dr. med. Michael Rentrop, Chefarzt am kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg am Inn

Prof. Dr. Michael von Cranach, Gedenkinitiative für die »Euthanasie«-Opfer sowie AG »Psychiatrie und Fürsorge im Nationalsozialismus in München«, Grub

Prof. Dr. med. Oliver Pogarell, Geschäftsführender Oberarzt, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München

Dieter Winklhofer, Leiter des SpDi München-West, Projekteverein, München

Helga Magdalena Knöbl, ärztliche Psychotherapeutin, München

Margareta Flygt, Angehörige, Malmö (Schweden)

Dr. Sibylle von Tiedemann, Gedenkinitiative für die »Euthanasie«-Opfer sowie AG »Psychiatrie und Fürsorge im Nationalsozialismus in München«, München

Dr. Heidrun Schröter-Morasch, Angehörige, Gedenkinitiative für die »Euthanasie«-Opfer, München

Barbara Wenzl, Angehörige, Gröbenzell

Petra Tuttas, Bezirksrätin, stellv. Fraktionssprecherin Bündnis 90/Die Grünen, München

Helga Hügenell, Bezirksrätin, Sprecherin der SPD-Bezirkstagsfraktion, München

Stefanie Krüger, Geschäftsführendes Präsidialmitglied, Bayerischer Bezirketag

Dipl. Psych. Katharina von Cranach, Grub

Dr. med. Albrecht Egetmeyer, Vorstand der Gruber-Stiftung

Dipl. Psych. Andrea Opitz-Gerz, psychologische Psychotherapeutin, Gedenkinitiative für die »Euthanasie«-Opfer, München

Andreas Bohl, 1971/72 Zivildienstleistender im Bezirkskrankenhaus Haar, München

Dipl. Psych. Amélie Ströhl, psychologische Psychotherapeutin, München

Christiane Mudra, Regisseurin und Autorin, München

Silvie Sperlich, Angehörige, Gedenkinitiative für die »Euthanasie«-Opfer, München

Ulrike Hagen, Journalistin, München

Prof. Dr. Andreas Burmester, Angehöriger, München

Silas Ubrich, Angehöriger, Gedenkinitiative für die »Euthanasie«-Opfer, Nürnberg

Josef Held, Angehöriger

Helga und Kurt Lainer, Angehörige, Gedenkinitiative für die »Euthanasie«-Opfer, Kirchheim bei München

Renate Otto, Angehörige, München

Monika Shah, ehem. Studienrätin Luisengymnasium München, München

Lorenz Hahn, Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., München

Edgar M. Zimmer, Vorstandsmitglied der Münchner Psychiatrie-Erfahrenen (MüPE) e. V., München

Michael und Babette Fleischmann, Angehörige, München

Robert Domes, Journalist und Autor (»Nebel im August«), Irsee

Anton Wanninger, Angehöriger, München

Ruth Dobias, Lehrerin am Gymnasium Höhenkirchen-Siegertsbrunn, München

Ulrich Unseld, München

Dr. Dirk Riedel, Historiker, München

Sandra Zerbin

Georg Wiesmaier, Geschichtswerkstatt Dorfen

Patricia Ubrich, Angehörige, Nürnberg

Bethel Fath, Fotografin, München

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