… entstanden aus der Erfahrung, dass Angehörige von Opfern der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde wie auch solche, die eine Betroffenheit vermuten, sich oft nur schwer im Dickicht der Geschichte zurechtfinden. Es ist schwierig, kompetente Ansprechpartner für Fragen zu finden. Fragen wie: Kann das Schicksal meines Angehörigen geklärt werden? Ist er ermordet worden? Wo gibt es Unterlagen? Warum kam er in eine Heil- und Pflegeanstalt? Wie soll ich die Eintragungen in der Krankengeschichte deuten? Was bedeutet die Diagnose?
Falls Sie sich auch diese Fragen stellen, so sind Sie nicht allein: Nach einer Hochrechnung des Historikers und Journalisten Götz Aly hat jeder achte Deutsche in seinem erweiterten Familienkreis einen Menschen, der Opfer des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programms wurde.
Ich bin Historikerin und Slavistin, lebe und arbeite in München und bin Mitglied der Arbeitsgruppe „Psychiatrie und Fürsorge im Nationalsozialismus in München“. Ab Frühjahr 2011 recherchiere ich im Auftrag des NS-Dokumentationszentrums München für das Gedenkbuch für die Münchner Opfer der NS-„Euthanasie“-Morde, das am 2. Juli 2018 der Öffentlichkeit übergeben werden konnte (mehr hier), und habe dafür mehr als 1.300 Krankengeschichten gesichtet und hunderte Namen von Deportationslisten der „Aktion T4“ abgetippt. Im Laufe der Zeit habe ich mit vielen Angehörigen geschrieben und gesprochen, die mir von den Schwierigkeiten und Hürden bei den Recherchen berichtet haben.
Seit 2015 treffen sich im NS-Dokumentationszentrum München Angehörige von Opfern und engagierte Bürgerinnen und Bürger. Die Gruppe hat sich den Namen Gedenkinitiative für die „Euthanasie“-Opfer gegeben. Die Treffen sind für alle offen.
Mir ist es ein Anliegen, Angehörigen bei der Klärung des Schicksals ihres Verwandten zu unterstützen. Nicht zuletzt um dazu beizutragen, den Opfern einen würdigen Platz in der Erinnerung zu ermöglichen.
Sibylle von Tiedemann (sibylle.tiedemann@ns-euthanasie-aufarbeitung.de)