Gedanken zur Recherche über meinen Großvater

Rückblickend frage ich mich oft, weshalb ich nicht schon viel früher die Lücke in meiner Familie erforschen wollte. Aber ein Mantel des Schweigens lag seit Jahrzehnten über den Ereignissen, so dass ich ursprünglich nicht den Wunsch hatte, Licht ins Dunkel zu bringen.

Nach dem Tod der Kinder meines Großvaters, meines Onkels und meiner Mutter, erfuhr ich von den schrecklichen Umständen seines Todes. Ich war erschüttert und entsetzt, hatte Angst vor den Details und wollte über diese nichts wissen. So vergingen weitere zehn Jahre, bis ich 2014 einen kleinen Artikel in der Süddeutschen Zeitung über die erste Verlegung eines Stolpersteines in München für ein Opfer der Euthanasiemorde las. In diesem Moment war mir klar, dass auch mein Großvater Erinnerung verdient hat.

Durch die Recherche in verschiedenen Archiven  und privaten Unterlagen (erstaunlich, dass ich diese erst jetzt gefunden habe) wurde mir vieles klar. Familiären Problemen konnten eine konkrete Ursache zugeordnet werden, sie wurden erklärbar und wiegen damit nicht mehr so schwer. Über die Gründe des Schweigens kann ich heute nur noch spekulieren: sicher spielte das Stigma der psychischen Erkrankung eine Rolle, vielleicht aber zusätzlich die tiefe Trauer über den Verlust und möglicherweise auch der Wunsch, die Enkelgeneration zu schützen.

Ich kann jeder Familie nur empfehlen, sich auf die Suche nach den verschwiegenen Angehörigen zu machen. Kein Opfer der Euthanasiemorde hat es verdient, für immer aus dem Gedächtnis gelöscht zu werden.

Über meine Großmutter

Die Nazizeit und die Gräueltaten sind lange her und eigentlich weit weg von mir. Und doch reicht die Vergangenheit bis zu mir, in meine unbedeutende Familie herein. Meine Oma – ein Euthanasieopfer – das hat mich neugierig gemacht. Wie war das damals, was hat sich zugetragen?

Schon als Kind wusste ich, dass meine Oma in jungen Jahren in einem Pflegeheim war und früh gestorben ist. Meine Mutter hat ihre Mutter also früh verloren und wenig direkte Erinnerung an sie und die Begleitumstände. Dass sie ein Euthanasieopfer war, habe ich mir später zusammengereimt aus den bruchstückhaften Informationen durch meine Mutter und dem, was man lesen und hören konnte über die Nazizeit.

Der frühe Verlust der eigenen Mutter war prägend für meine Mutter. Dazu kam noch die Schande für die Familie, dass die arme Frau in einer „Irrenanstalt“ gelandet war, das war ja unaussprechlich. So war die Sprachregelung, dass meine Oma eines Tages „gestorben“ sei. Es klang immer wie einstudiert. Niemals wurde das Unrecht der Euthanasie erwähnt. Auf meine Nachfrage hat meine Mutter mal gesagt, die Nervenheilanstalten wurden damals „geräumt“, weil man Platz brauchte, um die verwundeten Soldaten unterzubringen. Sie schien das ganz normal zu finden, dass die nutzlosen Pfleglinge verschwinden mussten, auf Nimmerwiedersehen. Meine Mutter ist halt auch ein Kind dieser Zeit und geprägt von der Naziideologie, das lässt sich nicht leugnen.

Irgendwann in den Nullerjahren hab ich ein wenig im Internet zu recherchieren begonnen und fand z. B. einen frühen Internetauftritt der Anstalt Hartheim, mit einem Foto und wenig Information. Ein paar Stellen gab es durchaus, an denen von Euthanasie zu lesen war, und gelegentlich einen Zeitungsartikel zum Thema. Richtig vorwärtsgekommen bin ich erst, nachdem ich durch die Veranstaltung im Gasteig Anfang 2015 Kontakt zur Forschungsgruppe „Psychiatrie und Fürsorge im Nationalsozialismus in München“ bekam, zu der auch Frau Tiedemann gehört. Von Frau Tiedemann bekam ich weiterführende Informationen und Hinweise z. B. auf das Bundesarchiv in Berlin. So kam ich sehr schnell zu Kopien von Krankenakten, aus denen überraschend viel über meine Oma hervorgeht, über ihren Lebenslauf und den Verlauf ihrer Krankheit. Ein großes Problem ist auf jeden Fall die Zeit. Zum einen bräuchte ich mehr Zeit für Recherchen über meine Oma und die Familie. Aber mir bleibt kaum Freizeit neben Beruf, Familie und Haushalt. Zum anderen: Es ist schon so viel Zeit vergangen. Ich kann ja niemand mehr fragen. Alle, die meine Oma gekannt haben, sind gestorben, meine Mutter ist mittlerweile alt und dement.

Über meinen Cousin

Begonnen zu recherieren habe ich, nachdem ich in Rente gegangen bin, also schon vor ca. 15 Jahren. Von meinem Cousin wusste ich lediglich, dass es ihn gab. Ich hatte weder Vornamen noch Geburtsdatum. Lediglich an einen Hinweis meiner längst verstorbenen Mutter, dass er sich in Schönbrunn aufgehalten hat, konnte ich mich erinnern. Das war in diesem Fall schon sehr viel, denn ansonsten wurde in der Familie überhaupt nicht drüber gesprochen, obwohl wir zu meiner Tante, Josephs Mutter, ein sehr gutes und inniges Verhältnis hatten.

Die Schwierigkeiten, die es bei der Recherche gab, waren vor allen Dingen die mangelnden Auskünfte durch das Münchner Stadtarchiv. Man war dort nicht bereit, mir Näheres mitzuteilen. Der Grund dafür war der fehlende Vornamen.

Erst als ich durch Zufall den Vornamen ermitteln konnte, wollte man mir auch das Geburtsdatum zu nennen. Hier muss man vielleicht noch dazusagen, dass ich beim Stadtarchiv genaue Angaben über die Eltern (Geburts- und Sterbedaten) sowie über Josephs Schwester (ebenfalls alle Daten) nennen konnte. Außerdem gab ich an, dass mein Cousin sich in Schönbrunn aufgehalten hat und dem Euthanansieprogramm zum Opfer gefallen ist. Sehr entgegenkommend und hilfreich dagegen war das Bistum München. Dort schickte man mir bereitwillig alle vorhandenen Unterlagen über meinen Cousin zu.

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